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Diverses Hier
gibt es sporadisch wechselnd Weiterführendes, Bereicherndes oder sonst wie
Ergänzendes zu den Themen Zuhören, Coaching und Beratung. Von
mir gelesene, sehr empfehlenswerte Bücher, welche auf die tiefgehendsten
Fragen über uns und unsere Welt eingehen: Ø
"Abschied vom Ich" von Werner Ablass Ø
„Gar nichts tun alles erreichen“ von Werner
Ablass Ø
"Jenseits von Gut und Böse" von Michael
Schmidt-Salomon Ø
„Zum
Traum erwachen“ von Leo Hartong Ø „Das ist es“ von Tony Parsons Ø
„Das
Buch Karl – Erleuchtung und andere Irrtümer“ von Karl Renz Ø
„Wen kümmert’s“ von Ramesh S.
Balsekar Ø
„Von der Zwiebel zur Perle“ von Satyam
Nadeen Ø
„Flieg – Du bist schon frei“ von
Hermann R. Lehner Ø
„Jeder
Augenblick ist Gnade“ von Rick Linchitz Ø
„Die Glückslüge“ von Michael Mary Ø
„Aus Sicht des Gehirns“ von Gerhard Roth Jeder einzelne
Gedanke, den Sie in den nächsten 30 Jahren denken werden, wird durch den
jeweils vorhergehenden Zustand des Universums determiniert sein. Das vermeintliche
Zentrum des inneren Erlebens ist das Produkt einer umfangreichen
Verwechslung, keiner war oder hatte jemals ein Selbst. Weil wir uns
fortlaufend mit den Modellen, sprich Bildern verwechseln, die das Gehirn im
Wachzustand produziert, halten wir unser Ich für real. In Wirklichkeit ist es
nicht mehr als eine Illusion. Schon das zu sagen wäre zu viel, denn nur ein
Jemand kann eine Illusion haben. Wir sind aber gewissermaßen niemand. Prof. Dr. phil.
Thomas Metzinger (Uni Mainz) Autor des Buches "Being no one" Nachfolgend ein Kapitel aus dem hervorragend einfühlsam
geschriebenen Buch von John Robbins „Food Revolution“ (ISBN
3-934647-50-2), in welchem wunderbar zum Ausdruck kommt, was einfühlsames,
respektvolles Zuhören zu bewirken vermag: Der Schweinezüchter
(zum
Ausdrucken als Word-Dokument bitte hier klicken) Vor
vielen Jahren traf ich in lowa einen Mann, der mir, ehrlich gesagt, auf
Anhieb nicht besonders sympathisch war. Er führte einen, wie er es nannte,
„Betrieb, der Schweinefleisch produziert“. Ich hätte es eher als
eine „Hölle für Schweine“ bezeichnet. Die Bedingungen waren brutal. Die
Schweine wurden in Käfigen gehalten, die kaum grösser als ihre Körper waren,
und diese Käfige waren in drei Reihen übereinander gestapelt. Ihre Seiten und
Böden bestanden aus Stahlstreben, so dass die Exkremente der oberen und
mittleren Tiere durch die Öffnungen auf die Tiere darunter fielen. Der Besitzer dieses Alptraums wog, da
bin ich mir sicher, mindestens 120 Kilogramm. Noch beeindruckender fand ich
jedoch, dass er aus Beton gemacht zu sein schien. Seine Bewegungen waren von
einer Eleganz, die sich nur unwesentlich von der einer Mauer unterschied. Was ihn noch unattraktiver machte, war
seine Sprache. Sie bestand vornehmlich aus Grunzlauten, die in meinen Ohren
alle sehr ähnlich und gewiss nicht angenehm klangen. Als ich sah, wie er sich
bewegte und sein Erscheinungsbild eine Weile auf mich wirken liess, dachte
ich mir, dass seine Probleme wohl kaum daher rührten, dass er es an diesem
Morgen nicht geschafft hatte, seine Yoga-Übungen zu machen. Ich hielt mich mit meiner Meinung
über ihn und seinen Betrieb jedoch zurück, da ich verdeckt ermittelte. Ich
wollte möglichst viel über die moderne Fleischproduktion in Erfahrung
bringen, indem ich Schlachthäuser und Massentierhaltungsbetriebe aufsuchte.
Natürlich hatte ich keinen verräterischen Aufkleber auf meinem Auto, und
meine Frisur und Kleidung waren so gewählt, dass sie keinen Hinweis darauf
gaben, dass ich vielleicht eine andere philosophische Neigung hatte, als es
in der Gegend üblich war. Ich sagte dem Farmer, ich sei ein Forscher, der
über Tierzucht schreibe, und bat ihn um ein paar Minuten seiner Zeit. Als
Antwort grunzte er einige Laute, die ich nicht genau verstand. Ich ging also
einfach mal davon aus, dass ich ihm ein paar Fragen stellen durfte und er
mich herumführen würde. In dieser Situation fühlte ich mich
nicht gerade wohl. Und das wurde auch nicht besser, als wir einen der Ställe
betraten, in denen die Schweine untergebracht waren. Mein Unwohlsein
vergrösserte sich sogar noch, denn der Gestank, der mir entgegenschlug, war
kaum auszuhalten. Dieses Gebäude stank penetrant nach Ammoniak,
Schwefelwasserstoff und anderen giftigen Gasen aus den Tierexkrementen, die
viel zu lange angehäuft worden waren. So ekelerregend der Geruch für mich
auch war, ich stellte mir dennoch die Frage, wie das wohl für die Tiere sein
musste. Schweine und Hunde besitzen in ihrer Nase 200-mal mehr Riechzellen
als wir Menschen. In einer natürlichen Umgehung sind sie beim Stöbern in der
Erde dazu in der Lage, fressbare Wurzeln auch dann noch zu riechen, wenn
diese tief in der Erde sitzen. Schweine würden ihren Platz niemals
beschmutzen. In Wirklichkeit sind sie sehr saubere Tiere. Ihr schlechter Ruf
zeigt nur, wie wenig wir über sie wissen. Hier jedoch waren ihre Nasen von
dem permanenten Gestank nach Urin und Fäkalien geplagt. Ich befand mich nur
einige Minuten in diesem Gebäude, doch ich sehnte mich verzweifelt nach
frischer Luft. Für die Schweine gab es aber kein Entkommen. Sie waren kaum in
der Lage, einen einzigen Schritt zu machen. Sie waren gezwungen, diesen
Gestank in fast völliger Bewegungslosigkeit zu ertragen. So mussten sie 24
Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche leben. Nicht einmal zwischendurch
durften sie frische Luft schnuppern oder sich angemessen bewegen. Der Besitzer dieser
Anlage – so viel gestehe ich ihm zu – war so freundlich, all
meine Fragen zu beantworten. Diese drehten sich in der Hauptsache darum,
welche Medikamente er einsetze, um das afrikanische Schweinefieber, Cholera,
Trichinose und andere bei Schweinen häufig vorkommende Krankheiten zu
behandeln. Allerdings konnte ich mich weder für ihn noch für seine
„Farm“ erwärmen. Vor allein in dem Moment nicht, als er gegen
einen Käfig trat, weil das Schwein darin zuvor aufgeheult hatte; so brachte
er noch mehr Schweine zum Schreien. Es fiel mir immer schwerer, mein
Unwohlsein zu verbergen. Kurz kam mir der Gedanke, ihm zu sagen, was ich von
den Bedingungen hielt, unter denen seine Schweine leben mussten. Doch ich
besann mich eines Besseren. Vor mir stand ganz offensichtlich ein Mann, mit
dem man nicht diskutieren konnte. Nach ungefähr 15 Minuten hatte ich genug
und war bereit zu gehen. Ich hatte das Gefühl, dass auch er froh war, mich
gleich los zu sein. Dann passierte etwas, das mein Leben für immer verändern
sollte – und auch seines. Es begann damit, dass seine Ehefrau hereinkam
und mich freundlich einlud, zum Abendessen zu bleiben. Der Farmer zog eine
Grimasse, während seine Frau mit mir sprach. Dann drehte er sich
pflichtbewusst zu mir um und sagte: „Die Frau möchte, dass Sie zum
Abendessen bleiben.“ Übrigens nannte er sie immer „die Frau“. Ich weiss nicht, ob Sie jemals etwas
getan haben, ohne genau zu wissen warum. Ich kann Ihnen auch nicht sagen,
warum ich sagte: "Ja, ich würde mich sehr freuen.“ Ich blieb zum
Abendessen, obwohl ich kein Schweinefleisch ass. Ich erklärte einfach, mein
Arzt sei sehr besorgt über meinen hohen Cholesterinspiegel. Ich erwähnte
weder, dass ich Vegetarier bin, noch dass mein Cholesterinspiegel bei 125
liegt. Ich bemühte mich, ein höflicher und
angenehmer Gast zu sein. Ich vermied alle Themen, die zu einer
Auseinandersetzung hätten führen können. Meine Gastgeber (und ihre zwei
Söhne, die mit am Tisch sassen) waren sehr freundlich, Sie gaben mir zu
essen, und ich merkte plötzlich, dass sie trotz allem auf ihre Art doch sehr
anständige Menschen waren. Ich fragte mich, ob ich sie wohl zum Abendessen
eingeladen hätte, wenn sie als Reisende in meine Stadt gekommen wären.
Wahrscheinlich nicht ... ganz sicher nicht. Doch jetzt sassen sie vor mir und
waren überaus gastfreundlich. Ich wusste natürlich, dass wir uns schnell in
einem unlösbaren Konflikt wiederfinden könnten. Wir sprachen über das Wetter und über
Baseball, den Lieblingssport ihrer beiden Söhne. Und natürlich sprachen wir
darüber, wie das Wetter die anstehenden Baseballspiele beeinflussen könnte.
Wir waren ziemlich erfolgreich darin, das Gespräch möglichst oberflächlich zu
halten und einen weiten Bogen um alle Themen zumachen, die einen Konflikt
hätten heraufbeschwören können. Das dachte ich zumindest. Plötzlich und für
mich völlig überraschend zeigte der Mann mit dem Finger auf mich und sagte
mit äusserst bedrohlicher Stimme: „Manchmal wünsche ich mir, dass ihr
Tierschützer einfach tot umfallen würdet.“ Ich werde wohl niemals
erfahren, woher er wusste, dass ich mit dem Tierschutz verbunden bin. Ich
hatte mein Bestes gegeben, nichts zu erwähnen, was diesen Eindruck hätte
erwecken können. Allerdings erinnere ich mich noch immer sehr gut daran, wie
sich mir bei seinen Worten sofort der Hals zuschnürte. Es kam noch schlimmer.
Seine beiden Söhne sprangen in diesem Moment vom Tisch auf, verliessen den
Raum, knallten die Tür hinter sich zu und stellten den Fernseher laut.
Wahrscheinlich wollten sie nicht hören, was nun folgen sollte. Seine Frau
räumte das Geschirr ab und schlich in die Küche. Als ich sah, wie sie die Tür
hinter sich schloss, und hörte, wie sie sich nun an das Geschirrspülen
machte, wurde mir fast schlecht. Sie hatten mich ganz mit ihm allein
gelassen. Um ganz ehrlich zu sein, ich hatte
Todesangst. Ein falscher Schritt hätte leicht katastrophale Folgen nach sich
ziehen können. Ich versuchte, wieder etwas Kontrolle über meinen Körper zu
bekommen, indem ich mich auf meinen Atem konzentrierte. Das funktionierte
jedoch aus einem sehr einfachen Grund nicht: Mir stockte in diesem Moment der
Atem. "Was sagen die denn, was Sie so
sehr verärgert?", fragte ich schliesslich. Dabei sprach ich sehr
vorsichtig und besonnen, jedoch sehr darauf bedacht, meine Angst zu
verbergen. Ich versuchte, mich ein wenig von der Tierschutzbewegung zu
distanzieren, da ich offensichtlich keinen grossen Sympathisanten vor mir
hatte. Er stammelte: „Sie werfen mir
vor, dass ich meine Tiere misshandle.“ „Wie können die so etwas
behaupten?“, fragte ich, wohlwissend, warum solche Vorwürfe an ihn
herangetragen wurden. In diesem Augenblick ging es mir jedoch nur darum, aus
dieser Situation wieder heil herauszukommen. Sehr zu meiner Überraschung war
seine Antwort zwar ärgerlich, aber gut formuliert. Er teilte mir ganz genau
mit, was Tierschutzgruppen zu Betrieben wie dem seinen sagen. Er erklärte mir
eingehend, was sie gegen seine Art des Umgangs mit den Tieren einzuwenden
haben. Dann liess er mich wissen, wie sehr er es hasse, als grausam
bezeichnet zu werden. Die Tierschützer sollten sich doch gefälligst um ihre
eigenen Angelegenheiten kümmern. Während ich ihm zuhörte,
begann ich mich wieder etwas zu entspannen. Mir wurde klar, und darüber war
ich sehr glücklich, dass er mir nichts Böses wollte und nur Luft ablassen
musste. Ein Teil seiner Frustration rührte daher, dass er sich selbst nicht
ganz wohl dabei fühlte, wie er mit den Tieren umging – dass er sie etwa
in so kleinen Käfigen hielt, ihnen so viele Medikamente gab und die
Frischlinge kurz nach der Geburt von der Mutter trennte. Er sah einfach keine
andere Möglichkeit. Wenn er es anders machen würde, hätte er wirtschaftliche
Nachteile und ginge im Wettbewerb unter. So mache man das eben heute, sagte
er, und so müsse er es eben auch machen. Ihm gefiele das nicht. Doch noch
weniger gefiele ihm, für das angeklagt zu werden, was er tun müsse, um seine
Familie zu ernähren. Zufällig war ich gerade eine Woche
zuvor in einem noch viel grösseren Schweinemastbetrieb gewesen. Dort hatte
ich erfahren, dass die Schweinemast immer mehr mechanisiert werden solle,
damit die kleinen Züchter nicht mehr mithalten könnten. Was mir dort gesagt
worden war, bestätigte all das, was ich nun von ihm hörte. Und ich begann
allmählich, das Dilemma zu verstehen, in dem sich dieser Mann sah. Ich befand
mich in seinem Haus, weil seine Frau und er mich eingeladen hatten. Ich
brauchte mich nur umzuschauen, um zu begreifen, dass sie hart ums Überleben
kämpfen mussten. Die Einrichtung war spartanisch. Materiell schien es dieser
Familie äusserst schlecht zu gehen. Dieser Mann sah in der Schweinezucht
die einzige Möglichkeit, für sich und seine Familie den Lebensunterhalt zu
verdienen. Also züchtete er Schweine, obwohl er die Art, wie das zu geschehen
hatte, stark missbilligte. Immer wieder beteuerte er, wie sehr er die
Methoden der modernen Massentierhaltung verabscheue. In diesen Momenten
erinnerte er mich an die Tierschützer, von denen er sich manchmal wünschte,
dass sie tot umfallen würden. Im Laufe unseres Gesprächs wuchs
meine Achtung vor diesem Mann, den ich noch vor wenigen Stunden innerlich
aufs Schärfste verurteilt hatte. Er besass viel Anstand. Und er wünschte sich
sehr, dass sich die Bedingungen in der Tiermast irgendwie verbesserten. Je
mehr ich jedoch das Gute in ihm zu sehen begann, umso mehr fragte ich mich,
wie er seine Schweine nur auf diese Weise behandeln konnte. Ich ahnte noch
nicht, dass ich es schon bald herausfinden sollte... Während wir uns weiter unterhielten,
machte er plötzlich ein todunglückliches Gesicht. Er beugte sich nach vorn
und hielt seine Hände vors Gesicht. Er sah aus wie ein gebrochener Mann. Ich
dachte, dass gerade etwas ganz Schlimmes passierte: Hatte er etwa einen
Herzinfarkt? Einen Schlaganfall? Es fiel mir schwer, zu atmen und klar zu
denken. „Was ist los?“, frage ich
ihn. Es dauerte eine Weile, bis er
antwortete. Ich war erleichtert, als ich ihn wieder etwas sagen hörte, obwohl
das, was er sagte, kaum zur Klärung der Situation beitrug. „Es
ist nicht so schlimm“, sagte er, „und ich möchte nicht darüber
sprechen.“ Als
er das sagte, machte er eine Handbewegung, als ob er etwas von sich weg
schieben wolle. Wir setzten unsere Unterhaltung fort, aber ich fühlte mich
äusserst unwohl. Ich fühlte mich verwirrt. Irgendetwas Dunkles, Schweres lag
in der Luft. Ich wusste weder, was es war, noch, wie ich damit umgehen
sollte. Einige Zeit später wiederholte sich
diese Situation. Wieder wirkte er zutiefst niedergeschlagen und von seinen
Gefühlen überwältigt. Ich sass da und es fiel mir schwer, seinen Zustand mit
anzusehen. Ich spürte förmlich, wie er litt. Ich bemühte mich, einfach
präsent zu sein. Ich vermochte kaum noch zu atmen. Auf einmal blickte er zu mir auf und
ich merkte, dass seine Augen feucht waren. „Sie haben Recht“, sagte
er. Normalerweise mag ich es, wenn man
mir sagt, dass ich Recht habe. In diesem Moment hatte ich aber nicht die
geringste Ahnung, wovon er sprach. Er fuhr fort: „Kein Tier sollte
so behandelt werden. Und Schweine erst recht nicht. Wussten Sie, dass
Schweine sehr intelligente Tiere sind? Sie sind sogar freundlich, wenn man
sie richtig behandelt. Ich mache das nicht.“ Seine Augen füllten sich mit Tränen.
Er erzählte mir, dass er sich gerade an ein Erlebnis aus seiner Kindheit
erinnert habe, das er für viele Jahre verdrängt habe. Allmählich wurde diese Erinnerung
immer deutlicher. Er liess mich wissen, dass er auf einer kleinen Farm im
ländlichen Missouri aufgewachsen sei. Sein Zuhause sei eine altmodische Farm
gewesen, auf der die Tiere frei umherliefen. Es habe Weiden und Wiesen
gegeben, und alle Tiere hätten Namen gehabt. Er sei das einzige Kind seiner
Eltern gewesen. Sein Vater sei sehr dominant gewesen. Er habe sich als Kind
oft einsam gefühlt, weil er keine Geschwister gehabt habe. Nur unter den
Tieren habe er Freunde gefunden, insbesondere bei einigen Hunden. Zu meiner
grossen Überraschung erzählte er mir davon, dass er auch ein Schwein als
Haustier gehabt habe. Während er von diesem Schwein sprach,
wirkte er wie ein ganz anderer Mensch. Zuvor hatte er mit einer sehr
monotonen Stimme erzählt. Doch plötzlich wurde seine Stimme lebendig. Seine
Körpersprache, die bis dahin eher bemitleidenswert wirkte, erschien mir auf
einmal frisch und munter. Er erzählte, wie er im Sommer in der
Scheune geschlafen habe. Dort sei es kühler gewesen als im Haus. Sein Hausschwein
habe neben ihm gelegen, und er habe ihm seinen Bauch gestreichelt. Auf der Farm habe es einen kleinen
See gegeben, in dem er gern gebadet habe, wenn es heiss war. Doch einmal sei
einer der Hunde ihm dabei immer wieder auf den Rücken gesprungen und habe ihn
daran gehindert, schwimmen zu lernen. Da sei sein Hausschwein dazu gekommen
und habe bewiesen, dass es die Situation genau verstanden habe. Das Schwein sei ebenfalls ins Wasser
gesprungen und ihm zu Hilfe geeilt: Es
habe sich zwischen ihn und den Hund begeben. Immer wenn der Hund ihn aufs
Neue anspringen wollte, habe ihn das Schwein zurückgehalten. Ich sass also da und hörte zu, wie
mir der Schweinezüchter von seinem früheren Hausschwein erzählte. Wir
erfreuten uns gemeinsam an dieser Geschichte und waren erstaunt, welche
Wendung unser Gespräch genommen hatte. Doch dann verdunkelte sich seine Miene
erneut und zeigte tiefe Niedergeschlagenheit. Wiederum spürte ich, wie
traurig er sich innerlich fühlte. Ich merkte, wie er gegen Angst und Schmerz
ankämpfte. Doch ich wusste nicht genau, was in ihm vorging oder wie ich ihm
helfen könnte, "Was ist mit dem Schwein
geschehen?“, fragte ich ihn. Er seufzte und mir schien, es läge
das Leid der ganzen Welt in diesem Seufzer. Dann sagte er mit leiser Stimme:
"Mein Vater wollte mich zwingen, es zu schlachten." „Haben Sie es getan?“,
fragte ich. „Ich
lief weg, konnte mich aber nicht verstecken. Sie fanden mich.“
„Was passierte dann?“ „Mein
Vater stellte mich vor die Wahl.“ „Welche?“ „Er sagte zu mir: „Entweder
schlachtest du dieses Tier oder du bist nicht länger mein
Sohn!“.“ Was für eine Entscheidung, dachte ich
bei mir. Es kommt so häufig vor, dass Väter ihren Söhnen beibringen, keine
Gefühle zu zeigen und stark und mutig zu sein. Und allzu oft erziehen sie
ihre Söhne so zu Kaltblütigkeit und Herzlosigkeit. „Also habe ich es
getan“, sagte er, während die Tränen an seinen Wangen herabflossen. Ich
sah, wie stark seine Gefühle waren. Noch vor wenigen Stunden war ich der
festen Überzeugung gewesen, dass dieser Mann völlig gefühllos sei. Jetzt sass
er vor mir, einem Fremden, und weinte. Dieser Mann, den ich als grausam und
herzlos eingeschätzt hatte, war in Wirklichkeit ein Mensch, der zu tiefem
Mitgefühl fähig war. Mein erster Eindruck war falsch, völlig falsch gewesen.
Einige Minuten später wurde mir klar, was hier geschah: Der Schweinezüchter
hatte sich an etwas erinnert, das unerträglich schmerzhaft für ihn gewesen
war. Also hatte er sich von dieser Erfahrung und den Gefühlen, die damit
verbunden waren, distanziert. Er hatte sich verschlossen. Es war einfach zu
leidvoll, als dass er sich damit weiter hätte beschäftigen können. Er traf damals irgendwo in seiner
jungen, noch formbaren Psyche die Entscheidung, dass er niemals wieder so
sehr verletzt werden und niemals wieder so stark empfinden wollte. Er
errichtete in seiner Psyche eine Mauer um dieses Erlebnis und den damit
verbundenen Schmerz. Hinter dieser Mauer lagen seine Liebe und seine
Zuneigung zu diesem Schwein. Hinter dieser Mauer lag sein Herz. Und nun,
viele Jahre später, stand er vor mir als ein Mann, dessen Beruf es ist,
Schweine zu schlachten. Noch immer, so dachte ich mir, befand er sich auf der
Suche nach der Anerkennung seines Vaters. Es ist mitunter unglaublich, sagte
ich zu mir selbst, was Männer tun, um die Anerkennung ihrer Väter zu
bekommen. Nun sah ich die Wahrheit. Seine
Steifheit war kein Mangel an Gefühl, wie ich zuerst gedacht hatte, sondern
das genaue Gegenteil. Sie war ein Zeichen dafür, wie empfindlich er unter der
Oberfläche war. Wäre er nicht so empfindsam gewesen, dann hätte ihn das
Erlebnis in seiner Kindheit auch nicht so sehr verletzt. Die Anspannung in
seinem Körper, die mir sofort an ihm aufgefallen war, und seine „raue
Schale“ zeigten nur, wie tief er verletzt war und wie stark die Gefühle
waren, die sich hinter dieser Fassade verbargen. Ich hatte ihn verurteilt. Ehrlich
gesagt, hatte ich ihn gnadenlos verurteilt. Doch für den Rest des Abends
sassen wir zusammen, und ich war dankbar für jenen Teil in ihm, der stark
genug war, ihm diese lange verdrängte und zutiefst schmerzhafte Erinnerung zu
ermöglichen. Ebenso glücklich war ich darüber, dass ich nicht in meinen
Vorurteilen stecken geblieben war. Denn sonst hätte ich ihm nicht den für die
Erinnerung an sein traumatisches Kindheitserlebnis nötigen Raum geben können. Wir verbrachten noch viele Stunden
gemeinsam und sprachen über alle möglichen Dinge. Nach allem, was ich an
diesem Abend über ihn erfahren hatte, machte ich mir grosse Sorgen um ihn.
Die Diskrepanz zwischen seinen Gefühlen und seiner Lebensführung war
gewaltig. Was sollte er tun? Die Schweinezucht war alles, was er gelernt
hatte. Er hatte keinen Schulabschluss und konnte noch nicht einmal besonders
gut lesen. Wer würde ihn anstellen, wenn er sich um einen anderen Job
bemühte? Er war nicht mehr der Jüngste. Wer würde an ihn glauben und in ihn
investieren? Als es am späten Abend
schliesslich Zeit wurde aufzubrechen, gingen mir viele Fragen durch den Kopf.
Ich hatte keine Antwort. Etwas gedankenlos hatte ich einen Witz gemacht.
„Vielleicht könnten Sie Brokkoli oder so etwas anbauen.“ Er
schaute mich an, als hätte er nicht die geringste Vorstellung davon, was ich
meinte. Mir kam in den Sinn, dass er Brokkoli womöglich nicht kannte. Wir verabschiedeten uns als Freunde.
Obwohl wir uns nur selten sehen, sind wir über die Jahre hinweg Freunde
geblieben. Ich schloss ihn in mein Herz und halte ihn in der Tat für einen
Helden. Ich war von dem Mut beeindruckt, der es ihm ermöglichte, diese
schmerzhafte Kindheitserinnerung zuzulassen. Sie werden gleich sehen, dass
er noch viel mutiger ist, als ich dachte. In meinem Buch Ernährung für ein neues Jahrtausend habe ich ihn zitiert und
zusammengefasst, was er mir an jenem Abend erzählte. Ich hielt meine
Ausführungen kurz und verzichtete darauf, seinen Namen zu erwähnen. Ich
dachte mir, dass es für ihn eher von Nachteil sein würde, mit mir in Verbindung
gebracht zu werden, da viele seiner Nachbarn in Iowa ebenfalls Schweinezüchter
sind. Als das Buch veröffentlicht wurde, schickte
ich ihm ein Exemplar. Ich hoffte, dass er damit einverstanden war, was ich
über unseren gemeinsamen Abend geschrieben hatte. Ich nannte ihm die Seite,
auf der es um unser Gespräch ging. Einige Wochen später erhielt ich einen
Brief von ihm. „Lieber Mister Robbins“, begann er, „vielen
Dank für das Buch. Als ich es sah, bekam ich einen Migräneanfall.“ Als Autor will man natürlich einen
Einfluss auf seine Leser ausüben. Doch nicht unbedingt so. Er erklärte mir, dass die
Kopfschmerzen so schlimm wurden, dass „die Frau“ ihm vorschlug,
das Buch vielleicht doch zu lesen. Sie meinte, es könne eine Verbindung
zwischen den Kopfschmerzen und dem Buch geben. Nach seiner Einschätzung
machte das aber überhaupt keinen Sinn. Dennoch las er das Buch, weil
„die Frau“ mit diesen Dingen in der Vergangenheit häufig Recht
gehabt habe. „Sie schreiben
gut“, meinte er. Ich kann Ihnen sagen, dass mir diese drei Wörter mehr
bedeuteten als das überschwängliche Lob, das mir die New York Times zuteil
werden liess. Er liess mich wissen, dass es für ihn sehr hart gewesen sei,
das Buch zu lesen. Er erkenne immer mehr, dass es ihm nicht möglich sein
würde, seinen Beruf weiter auszuüben. Seine Kopfschmerzen seien schliesslich
immer schlimmer geworden und hätten angehalten bis zu dem Morgen, an dem er
das Buch zu Ende gelesen hatte. Er habe die ganze Nacht durchgelesen, sei ins
Badezimmer gegangen und habe in den Spiegel gesehen. „Ich entschied
also in diesem Moment, dass ich meine ganze Herde verkaufen und meinen
Betrieb aufgeben werde. Ich weiss aber noch nicht, was ich jetzt machen
werde. Vielleicht kann ich ja Brokkoli anbauen, wie Sie es vorgeschlagen
haben.“ Er verkaufte schliesslich seinen
Betrieb in Iowa und zog nach Missouri zurück, wo er mit seiner Familie einen
kleinen Hof kaufte. Dort lebt er noch heute und betreibt so etwas wie eine
Musterfarm. Er widmet sich nun dem biologischen Gemüseanbau – ich bin
mir sicher, dass auch Brokkoli dabei ist – und verkauft seine Ware auf
den Märkten in der Region. Er besitzt noch immer Schweine, aber nur zehn, und
diese leben nicht in Käfigen. Er tötet sie noch nicht einmal. Stattdessen hat
er eine Vereinbarung mit den Schulen in seiner Region getroffen. Die
Schulkinder machen Ausflüge zu seiner Farm und dürfen dort mit den Schweinen
spielen. Er zeigt ihnen, wie intelligent Schweine sind und wie freundlich sie
sein können, wenn man sie richtig behandelt. Jedes Kind hat bei ihm die
Möglichkeit, einem Schwein den Bauch zu streicheln. Er ernährt sich
überwiegend vegetarisch. Er hat viel an Gewicht verloren, und sein
Gesundheitszustand hat sich enorm verbessert. Glücklicherweise geht es ihm
auch finanziell mittlerweile deutlich besser als früher. Können Sie verstehen, warum ich
diesen Mann in mein Herz geschlossen habe? Können Sie nachvollziehen, warum
er für mich ein Held ist? Er hat den grossen Sprung gewagt. Er hat alles
riskiert. Er hat alles hinter sich gelassen, was seine Menschlichkeit zu
ersticken drohte. Er hat diesen Sprung gewagt, obwohl er nicht wusste, welche
Folgen das haben würde. Er liess ein Leben hinter sich, von dem er wusste,
dass es falsch war, und beschloss, nach dem Leben zu suchen, das für ihn
richtig ist. Wenn ich mir viele der Dinge ansehe,
die heute in der Welt geschehen, habe ich manchmal Angst, dass die Menschheit
es nicht schaffen wird, ihre Probleme zu lösen und für ihr Überleben zu
sorgen. In solchen Momenten denke ich an diesen Mann und seine innere Kraft.
Und wenn ich daran denke, dass es noch viele andere Menschen gibt, deren Herz
im gleichen Takt schlägt, dann glaube ich, dass wir es doch schaffen werden. Mitunter bin ich der
Ansicht, dass es zu wenige Menschen gibt, die sich für die so dringend
notwendigen Veränderungen einsetzen. Doch dann erinnere ich mich daran, was
ich über den ehemaligen Schweinezüchter dachte, als ich ihn das erste Mal
sah. In diesem Moment wird mir klar, dass die Helden und Heldinnen überall
unter uns sind. Nur kann ich sie nicht immer erkennen, weil ich meine
eingeschränkten Vorstellungen davon habe, wie sie aussehen oder sich verhalten
müssten. Manchmal sind es meine eigenen Überzeugungen, die mich behindern. Der ehemalige Schweinezüchter ist
einer meiner Helden, weil er mich daran erinnert, dass wir aus den Käfigen
ausbrechen können, die wir uns selbst und gegenseitig bauen. Er erinnert mich
daran, dass wir etwas viel Besseres aus unserem Leben machen können. Er ist
einer meiner Helden, weil er mich daran denken lässt, welche Hoffnungen ich
für mein eigenes Leben habe. Als ich ihn erstmals sah, hätte ich
es niemals für möglich gehalten, dass ich einmal so etwas sagen würde. Doch
das zeigt nur, wie überraschend das Leben mitunter sein kann. Wir können nie
wissen, welche Erfahrungen das Leben für uns bereithält. Der ehemalige
Schweinezüchter zeigt mir, dass wir die Kraft des menschlichen Herzens
niemals unterschätzen sollten. Ich bin glücklich, dass ich jenen Abend mit
ihm verbringen durfte, ich bin dankbar, dass ich ihm eine Hilfe darin sein
konnte, seinen Weg im Leben zu finden. Ich weiss, dass meine Anwesenheit ihm
in irgendeiner Weise dienlich war. Doch ich weiss auch, und das nur zu gut,
dass ich weit mehr bekommen als gegeben habe. Für mich ist es ein Segen, wenn sich
der Schleier von unseren Augen lüftet, so dass wir das Gute in anderen
erkennen können. Manche mögen sich nach Reichtum oder ekstatischen
Bewusstseinszuständen sehnen, doch für mich liegt genau hier der Zauber und
die Schönheit des menschlichen Lebens. Ganz herzlichen Dank an Ralf Lederer vom Hans-Nietsch-Verlag,
der mir am 7. 9. 2004 freundlicherweise die Veröffentlichung dieses Kapitels
genehmigte! |
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